Faszien

Faszien sind zähe Bindegewebshäute, die flächig weite Teile des Körpers verbinden. Sie bilden das Organ unseres Körpers, das die anatomische Trennung der Knochen am eindrucksvollsten aufhebt, denn sie sorgen dafür, daß sich die Teile des Körpers zu einem verbundenen Ganzen fügen. Sie werden aus dieser Sicht als formgebendes Organ eingestuft.

Bindegewebshäute

formgebendes Organ

Wenn wir an Muskeln, Bänder oder Sehnen denken, dann werden wir geistig zu einer Vorstellung verleitet, die sich am Zweidimensionalen orientiert. Zwei Punkte - die Ansatzpunkte der Muskeln, Sehen oder Bänder - werden entlang einer Linie miteinander verbunden. Anders wenn wir an Faszien denken. Hier müssen wir einfache Vorstellungen aufgeben und uns mit flächigen zweidimensionalen gewölbten einander durchdringenden Schichten beschäftigen, die unseren Körper in drei Dimensionen gestalten.

Schauen wir uns die Eigenschaften des Bindegewebes einmal genauer an:

Flächen
"Es verbindet einzelne Zellen zu Geweben, Gewebe zu Organen, Organe zu Systemen, heftet Muskeln an Knochen und Knochen an Gelenke, umhüllt jeden Nerv und jedes Blutgefäß, verankert alle inneren Strukturen fest an ihrem Platz und umschließt den Körper als Ganzes."

Verankerung der inneren Strukturen

(Zitat aus Dean Juhan "Körperarbeit", Knaur Verlag)

In der anschließenden Darstellung folge ich einem Gedankengang, der von dem Biologen und Kognitionsforscher Francesco J. Varela und Samy Frenk vom Rolf-Institut entwickelt wurde (Artikel "The organ of form. Towards a theory of biological shape", J. Social Biol. Struct. 1987 10, 73-8).

Francesco J. Varela

In der klassischen Anatomie wird der Körper nach seinen Teilen, die sich mit dem Messer oder Skalpell durchschneiden lassen, eingeteilt. Von diesem Vorgang wird auch der Name Anatomie aus dem Griechischen abgeleitet. Betrachten wir den Körper mit dem Mikroskop können wir Zellen erkennen und den Körper als Summe von Zellanhäufungen auffassen. Würden wir nun die Zellen aus dem Körper entfernen, wird unser Blick frei für die Bestandteile des Körpers, die nicht in Zellen gebunden sind, dazu gehört das Bindegewebe, Ligamente und die Faszien. Schauen wir uns das genauer an, dann werden wir erkennen, daß die sogenannte Extrazelluläre Grundsubstanz oder -matrix den Raum zwischen den Zellen anfüllt und damit das Bindegewebe darstellt, das eine kontinuierliche Verbundenheit durch alle Körperbereiche hindurch gewährleistet.

Extrazelluläre Grundsubstanz

Einteilungen, die auf der klassischen anatomischen Ebene getroffen werden, führen für das Bindegewebe zu willkürlichen Grenzziehungen. Diese durchsichtige, flüssige Grundsubstanz ist in ihrer Erscheinung und Beschaffenheit rohem Eiweiß ähnlich und ist zu unterscheiden von anderer Zwischenzellflüssigkeit wie Plasma, Nährstoffe, Hormone, die aus Kapillaren und anderen Gewebezellen sickert. Sie besteht in erster Linie aus fibrösem kollagenem Material und Polysacchariden, das von den Zellen ausgeschieden wird und in unterschiedlichen Winkeln zusammengebunden wird.

willkürlichen Grenzziehungen

Die Rezeptoren an der Oberfläche von Körperzellen reagieren auf die Anwesenheit und spezifischen Eigenschaften der sie umgebenden Extrazellulären Grundmatrix. So beeinflusst die Grundsubstanz den Zellstoffwechsel und das Zellwachstum. Wir sehen hier einen "morphocyclischen" (gestaltgebenden) Regelkreis zwischen einer kontinuierlichen Struktur des gesamten Körpers, dem Bindegewebe, und einer lokalen Struktur, der Zelle. Die Anwesenheit und die spezifischen Eigenschaften des Bindegewebes können so in großem Ausmaße die Differenzierung der Körperzellen beeinflussen und umgekehrt.

morphozyklischer Regelkreis

Bindegewebszellen gibt es natürlich auch und sie heißen Fibroblasten. Sie sind die einzigen Körperzellen, die lebenslang die einzigartige Fähigkeit bewahren, an jeden Punkt des Körpers zu wandern. "Keine andere Zelle ist in so vielfältiger Weise regenerativ tätig." (Zitat aus Dean Juhan "Körperarbeit", Knaur Verlag)

Fibroblasten

Faszien können leicht verkleben oder verhärten und damit bestimmte Bewegungsrichtungen erschweren und hemmen. Faszien hüllen die Muskeln ein und schränken die BewegungsAmplitude durch eine passive Dehnspannung ein. Weiter tragen sie dazu bei, welche Gelenkstellung wir als richtig und "normal" empfinden. Eine "normale" und uns vertraute Körperhaltung - wie zum Beispiel im aufrechten Stehen - wird anders erlebt als eine "gehaltene" aufrechte Stellung wie im Tadasana, in welchem zusätzlich Muskelgruppen korrigierend eingreifen, um diese bestimmte Anordnung der Körperteile zu ermöglichen. Dies ist notwendig, um der passiven Spannungen des Bindegewebes und der Faszien entgegen zu wirken.
Stellen wir uns als Ideal einen "integrierten" Körper vor, dann wird eine aufrechte balancierte Haltung die normale Körperhaltung sein. Hier brauchen die Muskeln die Knochen nicht korrigierend zu bewegen, um zur gewüschten Körperhaltung zu kommen, sondern die Muskeln  unterstützen die Faszien in ihrer Funktion..
Unsere normalen gewöhnlichen Körperhaltungen gehen mit einem Gefühl der Richtigkeit einher, auch wenn sie nicht effizient sind und die Gesundheit des ganzen Systems untergraben. Auch bewußt wahrgenommene Fehlstellungen und Schmerzen genügen in der Regel nicht, um unser Verhalten und unsere Körperhaltung zu ändern. Die "ideale" und objektiv bessere Körperhaltung wird oft als unnormal, unnatürlich, schief und gezwungen wahrgenommen. Erst mit der Zeit stellt sich diese Empfindung um. Ein Trick diese subjektive Barriere zu überwinden, ist die direkte Arbeit am Bindegewebe - wir wenden uns quasi gleich an die massgebliche Instanz. Veränderungen, die auf dieser Ebene an der Köperstruktur entstehen, werden unmittelbar in unser Empfinden intergriert und bleiben einem ungeschulten Gespür oft verborgen.
Um Körperhaltungen zu beurteilen, ist es hilfreich den Unterschied zwischen Verkürzung und Verspannung einzuführen. In den anschließenden Ausführungen verwende ich Begriffe, die von dem Schwezer Arzt und Rolfer Dr. med. Hans Flury entwickelt wurden.
Dort wo der geometrische Abstand zwischen Körperabschnitten kleiner bzw. kürzer ist als in einer balancierten Haltung, sprechen wir von einer (primären) Verkürzung oder primary shortness. Diese geht oft einher mit einer Verspannung der Faszien und der Muskeln in diesem Bereich. Verspannungen finden wir aber auch in anderen Körperbereichen, in denen keine Verkürzung vorliegt, sondern im geometrischen Sinne sogar eine Überdehnung. Diese Verspannungen entstehen dann deshalb, um zu verhindern, daß der Körper von der Schwerkraft noch stärker aus dem Lot gebracht wird. Sie haben also eine kompensatorische Wirkung und werden deshalb sekundäre Verspannung bzw. Verkürzung oder secundary shortness genannt.  

(primären) Verkürzung

 

sekundäre Verspannung

model2.gif (4198 Byte) Diese Unterscheidung hilft uns leichter zu erkennen, wo Dehnen im Asana einen integrierenden Effekt hat, nämlich an Stellen mit primärer Verkürzung - und nicht einfach dort, wo Verspannungen und entsprechend die Schmerzen am größten sind. Und wir werden langfristig vermeiden dehnend dort zu arbeiten, wo eine sekundäre Verspannung vorliegt, da wir sonst desintegrierend auf die Körperstruktur wirken.

Als Beispiel sind links Regionen mit primärer Verkürzung rot eingezeichnet und  Regionen mit sekundärer Verspannung  grün eingezeichnet.

Noch eine Daumenregel für die Praxis: Oft liegen primäre und sekundäre Verkürzungen auf gegenüber liegenden Körperseiten. Und oft alternieren sie über die großen Gelenke hinweg.

Wir erkennen, daß die Körperstruktur bei einer schlechten Körperhaltung sowohl vorne als auch hinten beeinträchtigt ist. Der beidseitige Zug führt zu einer erhöhten Kompression und Unbeweglichkeit der Gelenke.

integrierenden Effekt

 

 

Spannungen existieren nicht lokal, sondern sind in ein umfassendes Spannungsmuster eingewoben. Dies schließt nicht aus, daß es Orte gibt, in denen Spannungen verstärkt auftreten und uns damit ein lokales Bild vermitteln. Diese Stellen, in denen wir die Verspannungen verstärkt wahrnehmen, führen gewöhnlich dazu, daß wir im Yoga gewisse Asanas meiden werden. Andererseits werden wir Asanas, die uns liegen, häufiger üben und damit ein schon bestehendes Ungleichgewicht verstärken. Dies ist bei geringer Übungsfrequenz nicht so schlimm, denn im Allgemeinen sind die Asanas ausgewogen in ihrer Wirkung. Doch wer ausdauernd übt und einen tatsächlichen Einfluß auf seine Körperstruktur anstrebt, sollte um diesen Umstand wissen und dem bewußt entgegenwirken.

Einfluß auf seine Körperstruktur

Zur physiologischen  Aufgabe der Faszien gehört es, Infektionen daran zu hindern von einem Körperbereich in andere Bereiche zu wandern und so den gesamten Körper zu befallen. Hier haben sie ein trennende Funktion.

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Mag. Christopher Veeck
Certified Advanced Rolfer, Rolfing Movement Integration Teacher
Neuwaldegger Str. 27/2/4  A - 1170 Wien  +43 (01) 489 94 06 oder (0676) 56 20 331
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